Eine kleine Geschichte, die ich selbst erlebt habe, können Sie hier lesen und/oder hören: Vati kehrt heim.
Meine Erinnerungen an die Neunkircher Straßenbahn finden Sie auf der Seite Straßenbahnen 3.
Erinnerungen an Radio Saarbrücken gibt es auf dieser Seite.
Die Hütte und der Ruß
Ich wurde im Mai 1942 im dritten Stock des Hauses Hüttenbergstraße
4 (siehe roten Pfeil)
in Neunkirchen
geboren (Hausgeburten waren damals noch die Regel). Es war das Anwesen
des alten Uhrmachers Schley, und wir wohnten bis zu meinem 17.
Lebensjahr dort am unteren Hüttenberg. Nomen (der Straße) est Omen, und
so war die Hütte, also das Neunkircher Eisenwerk,
keine 300 m Luftlinie weit von ihr entfernt. Eine Folge dieser engen
Nachbarschaft war, dass meine Mutter, wie alle Hausfrauen
in der Umgebung, jeden Tag den schwarzen Ruß von den Außenfensterbänken
unserer Wohnung abkehren musste,
den die Hochöfen Tag und Nacht in die Neunkircher Luft schleuderten.
Auf den Straßen der Innenstadt bekam man öfter mal ein Ruß- oder
Staubkorn ins Auge, und mit hellen Kleidern setzte man sich besser
nicht auf eine Bank oder eine Mauer, weil diese ebenfalls leicht
"verrußt" zu sein pflegten. Im Winter war nur der ganz frisch gefallene
Schnee
richtig weiß,
denn innerhalb weniger Minuten verwandelte der Ruß,
der sich darauf niederließ, seine Farbe in ein
tristes Grau. Schnee, der schon längere Zeit auf
der Erde lag, sah aus wie mit schwarzem Pulver bestreut.
In den anderen Hüttenstandorten wie Burbach,
Völklingen und Dillingen war dies wohl nicht anders...
Die "Hütte-Tuut"
Akustisch wurde unser Tagesablauf
von der Hütte mitbestimmt. Fünfmal ertönte
jeden Werktag "die
Tuut"
der Hütte - und zwar sehr lautstark. Das war "das Signalhorn"
(hochdeutsche Verballhornung von "die Tuut"), welches an Werktagen die
Halbschicht bzw. den Schichtwechsel für die Hüttenarbeiter ankündigte.
Dies geschah alle vier Stunden: um 6, 10, 14, 18 und 22 Uhr. Wenn wir
Kinder (also mein drei Jahre älterer Bruder Klaus und ich) unsere Mutti
fragten, wann wir vom Spielen zum Abendessen nach Hause kommen sollten,
antwortete sie in der Regel "Wenn die Hütte tutet" - also immer um
Punkt sechs.
Sammeln in der Nachkriegszeit
An anderer Stelle dieser Website wird u.a. vom "Kolle-glausches"
aus Eisenbahnlokomotiven in Saarbücken gesprochen (siehe hier). Bei
uns in Neunkirchen lief das anders. In den ersten Jahren nach dem Krieg
zog unsere Mutter manchmal abends, wenn es schon anfing, dunkel zu
werden, mit uns Kindern - unser Vati war ja noch in russischer
Kriegsgefangenschaft - vom Hüttenberg aus in die hintere
Wellesweilerstraße. Dort, wo schon keine Häuser mehr standen, klaubten
wir ein Stück vom Straßenrand entfernt einige Kohlenbrocken aus der
Erde und brachten sie in einem mitgeführten Ziehwäänsche nach Hause. Dort dienten sie dann als Heizmaterial für unseren großen Küchenherd.
Weil
es kurz nach dem Krieg nicht genug zu essen gab, führte uns meine
Mutter manchmal in den Neunkircher "Ziehwald", wo wir dann fleißig Bucheckern sammelten.
Zu Hause haben wir unsere Funde zuerst sorgfältig verlesen und danach
aus ihrer braunen Schale herausgelöst. Und nachdem Mutti sie auf der
Herdplatte vorsichtig geröstet hatte, haben sie uns richtig gut
geschmeckt.
Hierzu teilte uns Gabriel Peifer kürzlich mit: Ich gehöre nicht in die Nachkriegszeit. Mein Vater hat
mich aber als kleinen Bub bekannt gemacht mit einer besonderen Leckerei aus
dieser Zeit, die von den Kindern damals (zumindest mal in Dillingen/Pachten) im
Frühjahr begeistert gesammelt und verzehrt wurde: Robinienblüten, die damals
fälschlicherweise als Akazienblüten bezeichnet wurden. Sie schmecken leicht süß
und haben natürlich einen blumigen Beigeschmack. Für Leute wie mich, die es
nicht grade so süß mögen, sind die Blüten wirklich eine
Delikatesse.
Bei uns zu Haus
Wir
wohnten anfangs im dritten, später im zweiten Stock des Hauses am
Hüttenberg 4. Ich erinnere mich noch gut: Es gab dort ein Wohnzimmer,
das Eltern- und das Kinderschlafzimmer
und natürlich unsere Küche. Darin stand ein großer Kohlen-Herd, auf und
in dem meine Mutter kochte und backte. Dadurch war es in der Küche auch
im Winter immer schön warm.
In den fünfziger Jahren gab es ja noch richtige Winter - wir konnten
zwei, drei Monate lang fast jeden Tag Schlitten fahren - und richtige
Sommer - wir gingen den ganzen Sommer über fast täglich ins Freibad
(Kasbruch oder Lakaienschäferei - siehe auch unsere Freibäder-Seite unter Neunkirchen!).
Wenn wir im Winter vor Kälte zitternd aus dem Schnee nach Hause
zurückkamen, hatte uns die liebe Mutti unsere Pantoffeln zum Aufwärmen
schon in den Backofen in der Küche gestellt, und wir schlüpften dann
glücklich hinein...
Wie gut das unseren halb erfrorenen Füßen tat!
Später stand in unserer Küche auch ein Kühlschrank - es war ein Elektrolux - der ganze Stolz meiner Mutter (siehe Foto!).

Ganz wichtig war in unserer Wohnung natürlich das Radio! Anfangs
musste sich ein alter Vorkriegs-Volksempfänger sein Gnadenbrot bei uns
verdienen, aber als das Geschäft meines Vaters anfing, gut zu laufen
(er hatte nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft - siehe Vati kehrt heim!
- einen Fensterreinigungsbetrieb aufgebaut), bekamen wir einen schönen
großen Apparat. Es war ein Philips, mit 18 cm Lautsprecher und fünf
Röhren, einer Tonblende und einem Magischen Auge. Er hatte LW, MW, KW
und sogar schon UKW! Später stand oben auf dem Apparat noch eine
drehbare Antenne mit einem kleinen HF-Verstärker. Wir
hörten meistens natürlich Radio Saarbrücken,
manchmal aber auch den Südwestfunk, abends auch mal Frankfurt,
Stuttgart oder sogar München (dort gab es, ich glaube mittwochs, immer
ein schönes Wunschkonzert!). Das Radio besitze ich noch heute; ob es
noch "spielt", habe ich lange nicht mehr ausprobiert. Man kann es auf
dem Foto oben links hinter dem Sofa sehen, auf dem unser Vati sich nach
dem Mittagessen ausruhte, bevor er wieder zur Arbeit ging (mehr zu dem Radio: siehe auf unserer Seite Radio Saarbrücken - Erinnerungen!).
Einen Fernseher bekamen wir allerdings erst in den 60er-Jahren, und
zwar natürlich "gebraucht", nachdem mein Großvater gestorben war
(Schreinermeister i.R. Ernst Freyer, er wohnte auf dem Ruhstock 3).
Deshalb kam ich leider nie in den "Genuss", das Programm unseres ersten
saarländischen Fernsehsenders TELESAAR zu schauen. (Mehr zum Thema "Radio und Fernsehen" finden Sie in unserem Kapitel RADIO+TV.)
Jeden Samstag "Badespaß"
Unser
Klo befand sich eine halbe Etage tiefer in dem Haus - es war auch im
Winter kalt, da ohne Heizung. Ein Badezimmer? Was ist das denn??? Sowas
kannten wir nicht. Ich hatte als
Kind zwar mal gehört, dass es so etwas wie eine "Brause" geben solle
(erst später sagte man "Dusche" dazu), aber gesehen hatte ich so etwas
noch nie. Wir wurden gebadet, und zwar in der Küche. Einmal in der Woche - natürlich samstags - war "Badetag".
Meine Mutter platzierte so um 6 oder halb 7 unsere Zink-Badewanne
mitten in die Küche, stellte in mehreren großen Töpfen Wasser auf den
heißen Kohlenofen und schüttete es in die Wanne, sobald es warm war.
Dann badeten wir nacheinander darin - alle in derselben Füllung, zuerst
mein Bruder Klaus, dann ich (oder umgekehrt) und wenn wir im Bett
lagen, stieg
auch unsere Mutti hinein. (Vati war ja bis 1948 in Russland). In der
Wanne wurden wir mit Kernseife gewaschen, und so nahm das Wasser einen
zunehmend dunkler werdenden Grauton an. Die ganze Prozedur war wohl
nicht besonders hygienisch, aber wie hätte man die Baderei sonst
bewerkstelligen sollen? Die Woche über wuschen wir uns jeden Abend, so
gut es ging, am Spülbecken in der Küche.
Von
den frühen 50er Jahren an trabten wir dann alle Mann einmal in der
Woche (!) freitags oder samstags nachmittags zu der öffentlichen
Badeanstalt in der Bachschule. Hier waren im Untergeschoss eine
Anzahl von richtigen, großen Badewannen in abgeschlossenen Zellen
eingerichtet worden, und man konnte für einen kleinen Betrag (ich
glaube, 50 Franken) dort baden. Frische Wäsche, Seife und Handtücher
musste man natürlich von
zu Hause mitbringen.
Das
Foto mit der Zink-Badewanne ist nicht aus meiner eigenen Familie,
sondern wurde mit freundlicher Genehmigung folgendem Buch entnommen:
Lauterbach - Eine Reise in Bildern durch 300 Jahre Ortsgeschichte. ©
2006 Heimatkundlicher Verein Warndt e.V., Völklingen.
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Beim Abendessen
Kurz nach dem Krieg waren die
Lebensbedingungen sehr bescheiden. Vati war ja noch
in Gefangenschaft [1], und erst später konnte Mutti etwas nebenher
verdienen. Zum Abendessen bekamen wir ein paar Scheiben Brot mit Margarine, manchmal auch mit was
drauf, ein wenig Wurst oder Käse, oder Harzschmier [2],
je nachdem, was unsere Mutter gerade bekommen konnte. Ich erinnere
mich jedoch sehr gut an eine kleine, aber wichtige
Begebenheit. Es muss in den Jahren gewesen sein, als
es den Leuten an der Saar allmählich wieder etwas besser
ging [3]. Da sagte eines Abends unsere
Mutti beim Essen zu uns Kindern: "Ihr braucht jetzt
nicht mehr zu fragen: Krieg
ich noch ein Brot?, sondern ihr könnt jetzt sagen: Ich hätte gerne noch
ein Brot!"
[1] siehe Vati kehrt heim; [2] Brot mit Fenner Harz (Zuckerrübensirup); [3] siehe Saar-Geld
unter B2)
Die Glocken der Christuskirche
Wir Kinder spielten gerne in
den Ruinen, die der Krieg uns in vielen
Straßen der Stadt hinterlassen hatte, oder am
"Beet" mit dem bekannten Eisengießer-Standbild.
Es befand sich direkt gegenüber dem Haus, in dem
wir wohnten, und war im Sommer später mit vielen hübschen
Blumen bepflanzt. Wir spielten auch am Unteren Markt und um die Christuskirche herum, die nur etwa fünfzig
Meter von unserem Haus entfernt stand. Ihr Glockenläuten
begleitete meine gesamte Kindheit und Jugend. Jeden Tag erschallte es
um 7, 12 und 19 Uhr mit nur einer Glocke, und sonntags und an
Feiertagen vor dem Gottesdienst mit dem vollen Geläut. So ersetzten uns
die Glocken zusammen mit der "Tuut" der Hütte (siehe
oben) jegliche
Uhren. Da wir im 3.Stock wohnten, waren wir fast direkte
Nachbarn der Glocken. Aber ihr Läuten war für
uns so selbstverständlich, dass es uns nie in den
Sinn kam, sie als störend zu empfinden. Im Gegenteil,
ich erinnere mich noch heute gerne an ihren Klang und
freue mich jedes Mal, wenn ich Kirchenglocken läuten
höre.
Info zur Christuskirche:
Sie wurde beim letzten Luftangriff der Amerikaner auf Neunkirchen am
15. März 1945 getroffen und brannte innen aus. Nur sechs Tage später
marschierten amerikanische Soldaten in Saarbrücken und Neunkirchen ein,
und der Krieg war für das Saarland zu Ende. Erst am 6. Februar 1949
konnte die Kirche wieder eingeweiht werden. Das Foto habe ich als Kind mit meiner "Agfa Clack" aus unserem Wohnzimmerfenster
heraus aufgenommen. Der helle PKW war wohl ein Peugeot 203. Rechts hinter der Kirche ist der Untere Markt zu sehen.
Im Kindergarten
Als ich drei Jahre alt war, brachte mich meine Mutti jeden Morgen zum Kindergarten an der Marienkirche.
Dazu mussten wir fast den ganzen Hüttenberg hinaufgehen. Aus dieser
Zeit erinnere ich mich an ein aufregendes Ereignis. Eines Tages brach
ein großer schwarzer Vogel, es muss wohl ein Rabe oder eine Krähe
gewesen sein, durch ein Oberlicht an der großen Fensterfront hindurch.
Glasscherben fielen zu Boden und klirrten laut, und der große Vogel
flatterte, wahrscheinlich verletzt, am Boden und krächzte laut. Die
ältere Schwester,
die den Kindergarten leitete, hieb mit ihrem Gehstock auf das arme Tier
ein, bis es keinen Ton mehr von sich gab. Ich hatte, wie die anderen
Kinder, große Angst und musste noch lange an dieses schreckliche
Ereignis denken.
In der Volksschule (bitte beachten Sie zum Thema Schule auch unsere Seite "Schule im Saarstaat"!)
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Mit sechs Jahren kam ich in die Volksschule. Auf diesem Foto sieht man mich
(links) mit meinem Freund Emil Hübchen im Jahr
1948 an unserem ersten Schultag. Meine Mutti hat uns
anlässlich dieses wichtigen Ereignisses vor der
Mauer der Christuskirche fotografiert. Emil wohnte uns
schräg gegenüber, neben dem Gasthaus Rettig.
Seine Eltern hatten dort ein Eisenwarengeschäft. Zwei
oder drei Jahre vorher war Emil in denselben Kindergarten
gekommen, den ich schon seit ein paar Wochen besuchte. Emil weinte den ganzen Vormittag bitterlich,
und ich versuchte die ganze Zeit über, ihn zu trösten,
was mir aber nur kurzfristig gelang.
Unsere Volksschule war die Bachschule am Nordufer, direkt an der Blies.
Ich habe bis heute nicht vergessen, wie uns unser Naturkundelehrer
(ich glaube, es war Herr Hummel, einer der wenigen Männer
im Kollegium, so kurz nach dem Krieg) bei einer kleinen
"Exkursion" zur Blies, die direkt am Schulhaus vorüber- fließt,
erklärte, wie man die Uferseite eines Flusses
oder Baches korrekt bezeichnet: Wenn du mit dem Rücken
zur Quelle stehst und in die Richtung schaust, in die
das Gewässer fließt, dann ist das Ufer
rechts von dir das "rechte Ufer" und umgekehrt.
Ich habs seitdem nie vergessen. Erstaunlicherweise führte
man uns Knirpsen in der Volksschule schon damals ziemlich
häufig einen Film vor, Naturfilme oder auch Märchenfilme.
Das waren immer die schönsten Stunden in meiner
damaligen Volksschulzeit.
Meine Klassenlehrerin war "Fräulein Gräser", sie wohnte in Ottweiler und war mittleren
Alters. Für gute Leistungen schenkte sie uns manchmal
ein von ihr selbst gemaltes "Fleißkärtchen"
(hier links das
einzige, das ich je bekam). Bei schlechtem Benehmen gab es auch schon mal ein paarschmerzhafte
Schläge mit einem Stöckchen oder Lineal auf die Finger. Dies war wohl
eine der damals "dringend notwendigen" Erziehungsmethoden. Denn da so
kurz nach dem Krieg akuter Lehrermagel herrschte, waren wir nicht
weniger als 72 Kinder in der ersten Klasse, mit nur einer Lehrerin!
Ich
selbst bekam in der Volksschule nur einmal eine runtergehauen -
"natürlich" völlig zu Unrecht und ganz ohne pädagogisches Gespür. Ich
erinnere mich noch gut daran, dass ich an diesem Tag über irgend etwas
so traurig war, dass ich meinen Kopf auf die Schulbank legte und
bitterlich weinte. Meine Lehrerin kam auf mich zu und fragte mich
mehrmals, was denn los sei, ich war aber so aufgelöst, dass ich nicht
antworten konnte. Plötzlich wurde sie zornig, schlug mir mit der Hand
auf den Hinterkopf und sagte "So, jetzt weißt du wenigstens, warum du
heulst". Ich kleiner Knirps verstand die Welt nicht mehr. Inzwischen,
nach über 60 Jahren, hab ich ihr natürlich längst verziehen...
Alle Fotos dieser Seite (außer Badewanne): Rainer Freyer
Diese
Seite wurde begonnen am 9.10.2009 und zuletzt bearbeitet am 10.5.2020
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