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 1)  Das Europäische Saarstatut

 

 

 

 Die Saar auf dem Weg zu einer Europäisierung

 

 

 

  Weitere Seiten zum Thema Saarstatut:

  2)  Volksbefragung und Abstimmungskampf

  3)  Ergebnisse und Folgen

  4)  Aufkleber

  5)  Flugblätter

  6)  Karikaturen

  7)  Plakate

  8)  Verse

  9)  Zeitungen

10)  Tumulte bei Kundgebungen

 


 

Hinweis: Eine chronolgische Auflistung aller wichtigen politischen Ereignisse im Saarland von 1945 bis nach 1959 finden Sie auf unserer

             Seite Geschichtlicher Überblick.


 

 

Auf dieser Seite finden Sie Antworten auf folgende Fragen:

 

A) Wie war dieses Europäische Saarstatut zustande gekommen?

 

B) Was hätte bei Annahme dieses Statuts aus dem Saarland werden sollen?

 

C) Wie lautete der vollständige Text des Saarstatuts?

 

 

Am 23. Oktober 1955 wurde im Saarland das "Europäische Saarstatut" in einer Volksbefragung von etwa zwei Dritteln der Stimmberechtigten abgelehnt. Wenn es angenommen worden wäre, hätte das Saarland ein europäisches Staatsgebilde werden und bis zum Abschluss eines Friedensvertrags bleiben sollen (siehe Text des Saarstatuts, Artikel I und unten im Abschnitt B).

 

 

Hinweis:

 

Das "Europäische Saarstatut" von 1954 wird oft auch als "Zweites Saarstatut" bezeichnet. Als "Erstes Saarstatut" werden die Artikel 45 bis 50 des Versailler Vertrages von 1920 genannt, nach denen das damalige Saargebiet vom Deutschen Reich abgetrennt und unter die Mandatsverwaltung des Völkerbunds gestellt wurde (siehe unsere Seite Saargeschichte unter 1920-1935!)

 

 

 

A) Wie war das Europäische Saarstatut von 1954 zustande gekommen?

 

 

Kurzer Abriss der Vor- und Entstehungsgeschichte

 

Nach den schrecklichen Ereignissen des Zweiten Weltkriegs trat auf unserem Kontinent die Europa-Idee sehr schnell in den Vordergrund. Die Menschen waren sich einig darüber, dass eine solche Katastrophe nie wieder geschehen durfte. Viele glaubten daran, dass dieses Ziel nur durch die Schaffung eines vereinigten Europas zu erreichen sei. Daher begann man schon sehr früh damit, auf eine europäische Integration der einzelnen Länder hinzuarbeiten.

 

Bereits am 5. Mai 1949 unterzeichneten in London zehn Staaten die Satzung des Europarates. Dies war der erste Schritt zum Aufbau einer europäischen Ordnung. Die am 23. Mai 1949 gegründete Bundesrepublik und das seit Dezember 1947 bestehende teilautonome Saarland stellten nun getrennte Anträge zur Aufnahme in den Europarat. Da die Bundesrepublik außenpolitisch aufgrund ihres Besatzungsstatuts noch nicht selbstständig war, konnte sie nur als assoziiertes Mitglied aufgenommen werden. Um die Aufnahme des Saarlandes entspann sich ein heftiger Kampf: Frankreich unterstützte sie, aber die Bundesrepublik versuchte, sie zu verhindern, weil damit die Abtrennung der Saar von Deutschland offiziell bestätigt worden wäre. Man einigte sich schließlich auf eine Übergangslösung: Die Bundesrepublik und das Saarland wurden im Juli 1950 als zwei assoziierte Mitglieder aufgenommen. Während die Bundesrepublik im Mai 1951 Vollmitglied des Europarats wurde, blieb die Saar - u.a. hauptsächlich aufgrund des Vetos der Deutschen - lediglich Mitglied seiner Beratenden Versammlung (bis 1956).

 

Angeregt durch den Plan des französischen Außenministers Robert Schuman, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion unter eine gemeinsame Oberste Aufsichtsbehörde zu stellen (Schuman-Plan), wurde am 18. April 1951 in Paris die EGKS (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, auch Montanunion genannt) gegründet. Der Gründungsvertrag wurde von sechs Ländern unterzeichnet, zu denen zwar die Bundesrepublik, nicht aber das Saarland zählte.

 

Die Bundesregierung überreichte am 29.5.1951 den Hohen Kommissaren der Allierten eine "Saarnote", in der sie auf die "undemokratischen Verhältnisse im Saargebiet" hinwies und unter anderem gegen das kurz zuvor dort erfolgte Verbot der deutschlandfreundlichen Partei DPS protestierte. Sie forderte Meinungs- und Handlungsfreiheit an der Saar. Wenig später brachten die Abgeordneten des deutschen Bundestages in einer "Saardebatte" die Haltung der Bundesrepublik gegen die Herauslösung der Saar aus dem deutschen Staatsgebiet zum Ausdruck und stellten fest, dass "das Saargebiet völkerrechtlich keinen Staat" darstellte. [1]

 

Im März 1952 verständigten sich Bundeskanzler Konrad Adenauer, der französische Außenminister Robert Schuman und Johannes Hoffmann darauf, die Saarfrage im Zuge einer Europäisierung des Landes zu lösen. Dafür wurden in der Folgezeit mehrere Pläne vorgelegt (Columbia-District-Plan, Van-Naters-Plan), von denen aber zunächst, hauptsächlich wegen des Vetos der Franzosen, keiner zur Ausführung kam.

 

Als im März bzw. im August 1954 die Verhandlungen zur Gründung der EPG (Europäische Politische Gemeinschaft) und der EVG (Europäische Verteidigungs- gemeinschaft) scheiterten, musste man ein Auseinanderbrechen der gesamten westlichen Staatengemeinschaft befürchten. Nun wuchs in Deutschland und in Frankreich die Bereitschaft, endlich eine für alle Seiten akzeptable Kompromiss- lösung für die Saarfrage zu erreichen. Es wurde nun immer deutlicher, dass ohne die Lösung der Saarfrage die angestrebte Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland und damit die gesamte westeuropäische Einigung nicht zu erreichen sein würde.

 

Man fand sie schließlich im Herbst 1954 im Rahmen der Verhandlungen zu den Pariser Verträgen. Durch diese sollte u.a. die deutsche Souveränität nach Aufhebung des Besatzungsstatuts der drei Westzonen wieder hergestellt und der Beitritt der Bundesrepublik zur NATO vertraglich verankert werden. Die Franzosen machten ihre Zustimmung dazu von der vorherigen Lösung der Saarfrage abhängig. Nun überstürzten sich die Ereignisse. In aller Eile wurde ein Europäisches Saarstatut ausgearbeitet. Adenauer ließ die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen nach Paris kommen, und diese stimmten dort dem Statut zu. Bereits am 23. Oktober 1954 wurde es vom deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem französischen Ministerpräsidenten Pierre Mendès France unterzeichnet (siehe Foto oben). - (Einzelheiten zum Inhalt des Statuts lesen Sie bitte unten im Abschnitt B). Am selben Tag wurde in Paris die WEU (Westeuropäische Union) als kollektiver militärischer Beistandspakt von anfangs acht europäischen Staaten gegründet.

 

Im Artikel I des Saarstatuts war festgelegt worden, dass es zunächst "im Wege der Volksabstimmung" von der Saarbevölkerung gebilligt werden musste, bevor es in Kraft treten konnte (siehe Kapitel Volksbefragung). Wenn das Statut dann durch das Referendum angenommen worden wäre, hätte es bis zum späteren Abschluss eines Friedensvertrages von keinem der Partner mehr geändert werden dürfen [2]. Die Einhaltung der Bestimmungen des Saarstatuts sollte ein von der WEU einzusetzender europäischer Kommissar überwachen, der auch für die Auswärtigen Angelegenheiten und die Landesverteidigung des ansonsten autonom bleibenden Saarlandes zuständig gewesen wäre.

 

Als der Wortlaut des Statuts bekanntgegeben wurde, reagierten die Parteien in sehr unterschiedlicher Weise. Die bundesdeutsche SPD lehnte es ab, ebenso die FDP. Sie drohte sogar mit ihrem Rückzug aus der Koalition. Die CDU war über einige Teile des Statuts enttäuscht, billigte es aber dennoch. Adenauer kündigte an, mit den Franzosen noch über die Interpretation des Statuts verhandeln zu wollen. Diese teilten ihm aber mit, es bedürfe keiner weiteren Auslegungen und Erklärungen.

 

Die beiden Abbildungen oben sind in der Broschüre "Das europäische Saarstatut", herausgegeben von der Regierung des Saarlandes 1955, veröffentlicht.

 

Auch an der Saar wurde heftig über das Für und Wider des Saarstatuts diskutiert. Die Kommunistische Partei (KPS) lehnte das Statut ab, Johannes Hoffmann und seine CVP sowie die SPS begrüßten es natürlich. Hoffmann bedankte sich noch am Abend des 23. Oktober in einer begeisterten Ansprache über Radio Saarbrücken bei Konrad Adenauer für die Aushandlung des Statuts. Heinrich Schneider (dessen DPS damals noch verboten war) war zutiefst enttäuscht und bezeichnete das Statut als "bedingungslose Kapitulation der Deutschen gegenüber den französischen Forderungen" [3]. Er fürchtete zu jenem Zeitpunkt noch, es werde in der Volksabstimmung mit etwa 80% Ja-Stimmen angenommen werden, und meinte, es sei absurd zu glauben, die prodeutschen Parteien im Saarland könnten daran etwas ändern. [4]

 

Der Ratifizierungsprozess des Saarstatuts zog sich über mehrere Monate hin. Die Bundesregierung verabschiedete es am 19.11.1954. Am 24.12.1954 wurde es von der französischen Nationalversammlung und am 27.2.1955 vom deutschen Bundestag genehmigt. In der Debatte sagte Adenauer, Zweck des Statuts sei die Entfernung Grandvals und Hoffmanns. Er äußerte die Hoffnung, dass das Saarvolk danach die ihm zugesicherten Freiheiten sinnvoll nutzen werde. Am 4. Mai 1955 erklärte das Bundesverfassungsgericht, dass es keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Saarstatut habe.

 

Am 18.3.1955 nahm der Bundesrat mit knapper Mehrheit die Pariser Verträge und damit auch das Saarabkommen an. In einer Resolution legte er fest, dass weder die Zugehörigkeit der Saar zum deutschen Staat noch die des saarländischen Volkes zum deutschen Volk durch das Saarstatut in Frage gestellt werden dürften. Bundespräsident Heuss ratifizierte die Pariser Verträge am 24. März 1955. In Frankreich nahm der Rat der Republik am 26. März 1955 nach einer dreitägigen Debatte Pariser Verträge und Saarstatut an.

 

Am 11. Mai 1955 übernahm im Saarland der Rat der WEU diejenigen Verantwortlichkeiten, die sich aus dem Wortlaut des Statuts für die WEU-Mitgliedsländer ergaben. Am 8. Juli 1955 wurde der Termin für die Volksbefragung festgelegt: Man entschied sich für den 23. Oktober 1955. Dass er damit genau auf den ersten Jahrestag der Unterzeichnung des Abkommens fiel, hatte sich wohl mehr oder weniger per Zufall ergeben.

 

Wie es nach dem 8. Juli 1955 weiterging, erfahren Sie auf den nachfolgenden Seiten über Volksbefragung und Abstimmungskampf.

__________________

 

[1] Sondersitzung der Bundesregierung am 30. Mai 1951, Regierungserklärung. Nachzulesen unter:

     http://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/1021/k/k1951k/kap1_2/kap2_40/para3_1.html

[2] Bis heute ist ein solcher Friedensvertrag nach dem 2. Weltkrieg formell nie abgeschlossen worden. Möglicherweise hätte der

     Abschluss des sogenannten Zwei-Plus-Vier-Vertrags von 1990 diese Bedingung des Saarstatuts erfüllt.

[3] Siehe Heinrich Schneider. Das Wunder an der Saar. Stuttgart 1974. S. 414.

[4] Vgl. ebenda, S. 415.

   

 

B) Was hätte bei Annahme dieses Statuts aus dem Saarland werden sollen?

 

(Den vollständigen Wortlaut des 2. Saarstatuts finden Sie weiter unten, im Abschnitt C.)

 

Viele Saarländer wussten damals gar nicht so recht, was eine Billigung des Saarstatuts in dem bevorstehenden Referendum für ihr Land bedeutet hätte. Sie konnten den Wortlaut zwar in den von der Regierung verbreiteten Broschüren und in der Presse nachlesen, aber wer studiert schon gerne trockene amtliche Texte... Man las lieber die bunten, teils amüsanten, teils aggressiven Handzettel, Flugblätter und kleinen Heftchen, die von den Parteien eifrig als Propagandamaterial verteilt wurden (siehe Seite Volksbefragung). Diese "übertönten" die sachliche Information über das Statut.

 

Dieses sah im Wesentlichen eine "Europäisierung" des Saarlandes vor. Unter der Aufsicht der WEU hätte es zu einem supranationalen (außerstaatlichen) Territorium werden und so die Grundlage für den Zusammenschluss Europas bilden sollen.

  

Dies sind die in diesem Saarstatut festgelegten Grundzüge, die nach seinem Inkrafttreten das Saarland hätten prägen sollen. Sie hätten bis zum Abschluss eines Friedensvertrages nicht mehr geändert werden dürfen:

 

1. Das Saarland wäre ein weitgehend autonomes Land mit eigener Regierung geworden, das seine inneren Verhältnisse selbst geregelt hätte (gem. Artikel V des Statuts).

 

2. Das Land wäre nicht länger ein Protektorat der Franzosen geblieben, und die Interessen auf dem Gebiet seiner auswärtigen Angelegenheiten und seiner Landesverteidigung wären nun von einem europäischen Kommissar wahrgenommen worden. Diesen hätte der Ministerrat der WEU ernannt, dem gegenüber er verantwortlich gewesen wäre. Der Kommissar hätte auch die Beachtung des Statuts überwachen sollen.

 

3. Die Grundsätze der bereits bestehenden Wirtschaftsunion des Saarlandes mit Frankreich wären in ein neues Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit aufgenommen worden. Die Regierungen Frankreichs und der Bundesrepublik hätten sich dazu verpflichtet, der saarländischen Wirtschaft "Entwicklungsmöglichkeiten in weitestem Umfang" zu geben (Art. XI). Das neue Abkommen hätte festlegen sollen, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Saarland und der Bundesrepublik erweitert und in ihrem Umfang den bestehenden Beziehungen zwischen Frankreich und der Saar angeglichen worden wären - ohne letztere in Gefahr zu bringen.

 

Die Grenzen wären so bestehen geblieben, wie sie waren: Es hätte weiterhin keine Zollgrenze zwischen Frankreich und dem Saarland gegeben, und die Zollgrenze zwischen unserem Saarland und der Bundesrepublik hätte fortbestanden. Der französische Franc wäre im Saarland bis zur Schaffung einer neuen europäischen Währung in Kraft geblieben (Artikel XII A und B). Die Saar wäre für die Verwaltung sämtlicher Kohlevorkommen in ihrem Gebiet sowie der von den Saarbergwerken verwalteten Grubenanlagen selbst zuständig gewesen (XII E). In einem Briefwechsel zwischen Adenauer und Mendès France versicherte letzterer, dass die französische Regierung "der Saar fortschreitend die volle Verantwortung der Gruben auf allen Gebieten" überlassen hätte (Zusatzvereinbarungen zum Statut, Nr. 3).

 

4. Die Regierungen Frankreichs und der Bundesrepublik hätten den anderen europäischen Regierungen die Beteiligung des Saarlandes an den damals bestehenden europäischen Organisationen (Europarat und WEU) vorgeschlagen. Die Saar wäre dabei entweder durch den europäischen Kommissar (siehe oben, Punkt 2) oder durch eigene Minister, Abgeordnete oder Delegierte vertreten worden (Artikel III).

 

5. Verschiedene europäische Behörden, die heute in Luxemburg, Brüssel und Straßburg angesiedelt sind, hätten ihren Sitz im Saarland einrichten können. Pläne für die dafür notwendigen Gebäude lagen bereits in den Schubladen der saarländischen Regierung (siehe Foto rechts). Damit wäre das Saarland zum ersten Baustein einer künftigen europäischen Staatengemeinschaft geworden.

 

6. Die beiden Regierungen hätten den übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS oder Montanunion) empfohlen, deren Sitz nach Saarbrücken zu verlegen (Art. XIII).

 

Das Foto zeigt ein Modell mit den geplanten Gebäuden der Montanunion, deren Sitz Saarbrücken hätte werden sollen. Wie man sieht, befanden sich die Planungen schon in einem ziemlich fortgeschrittenen Stadium. (Foto aus der Zeitschrift Tele Bild mit Radio 1955)

 

Auf unserer Seite Volksbefragung finden Sie Näheres über den Abstimmungskampf, und auf der Seite Ergebnisse und Folgen können Sie nachlesen, wie die weitere politische Entwicklung nach der Abstimmung verlief.

  

 

C) Der vollständige offizielle Text des Saarstatuts vom 24. Oktober 1954

 

(wie veröffentlicht im Amtsblatt des Saarlandes Nr. 87 vom 23. Juli 1955, S. 1023 f.)

 

 


Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über das Statut der Saar

 

 

Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und

Die Regierung der Französischen Republik, die letztere, nachdem sie die Saarländische Regierung konsultiert und nachdem sie deren Zustimmung erlangt hat,

sind in dem Bestreben, die saarländische Wirtschaft in weitestem Umfang zu entwickeln und jeden Anlass zu Streitigkeiten in den gegenseitigen Beziehungen zu beseitigen, über folgende Grundsätze einig geworden, die die Grundlage einer Lösung der Saarfrage bilden werden.

 

I.

 

Ziel der ins Auge gefassten Lösung ist es, der Saar im Rahmen der Westeuropäischen Union ein europäisches Statut zu geben. Nachdem dieses Statut im Wege der Volksabstimmung gebilligt worden ist, kann es bis zum Abschluss eines Friedensvertrages nicht mehr in Frage gestellt werden.

 

II.

 

Ein europäischer Kommissar nimmt die Vertretung der Saarinteressen auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten und der Verteidigung wahr. Der Kommissar überwacht ferner die Beachtung des Statuts. Der Kommissar wird vom Ministerrat der Westeuropäischen Union ernannt. Er ist diesem Rat verantwortlich. Der Kommissar darf weder Franzose noch Deutscher noch Saarländer sein. Bei der Mehrheit, mit der er ernannt wird, müssen sich die Stimmen Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland befinden; auch die Zustimmung der Saar ist erforderlich.

Der Kommissar unterbreitet jährlich dem Ministerrat einen Rechenschaftsbericht, der von diesem der Versammlung der Westeuropäischen Union zugeleitet wird.

Soweit der Ministerrat in Bezug auf das Saarstatut Aufgaben zu erfüllen hat, entscheidet er mit einfacher Mehrheit.

 

III.

 

Die beiden Regierungen werden den anderen beteiligten europäischen Regierungen vorschlagen, die Wahrnehmung der Interessen der Saar bei den europäischen Organisationen folgendermaßen zu regeln:

 

a) EUROPARAT:
1)
Ministerkomitee: Der Kommissar nimmt an den Sitzungen mit beratender Stimme teil.
2)
Beratende Versammlung: Saarländische Vertretung unverändert.

 

b) MONTANGEMEINSCHAFT:
1)
Besonderer Ministerrat:
     - wenn die Außenminister tagen, wird die Saar durch den Kommissar vertreten;
     - wenn andere Minister tagen, wird die Saar mit Stimmrecht durch ihren zuständigen Minister vertreten.
2)
Gemeinsame Versammlung: drei Abgeordnete werden vom Saarlandtag gewählt. Die französische Vertretung bleibt

    zahlenmäßig den Vertretungen Italiens und der Bundesrepublik Deutschland gleich, wie es in Artikel 21 des Vertrages über

    die Gründung der Montangemeinschaft vorgesehen ist,

 

c) WESTEUROPÄISCHE UNION:
1)
Ministerrat: Der Kommissar nimmt an den Sitzungen mit beratender Stimme teil.
2)
Parlamentarische Vertretung: Die Versammlung der Westeuropäischen Union umfasst die saarländischen Delegierten zur

    Beratenden Versammlung des Europarates.

 

IV.

 

Die beiden Regierungen werden vorschlagen, dass die Teilnahme der Saar an der europäischen Verteidigung durch einen im Rahmen der Westeuropäischen Union geschlossenen Vertrag festgelegt wird, und dass in Fragen, die die Saar betreffen, SACEUR stets in enger Zusammenarbeit mit dem Kommissar handelt.

 

(SACEUR = Supreme Allied Commander EURope, der Oberkommandierende des NATO-Hauptquartiers Europa; damals hatte General Alfred M. Gruenther aus den USA dieses Amt inne. / Erläuterung durch Saar-Nostalgie)

 

V.

 

Auf allen Gebieten, auf denen das Statut nicht ausdrücklich die Zuständigkeit des Kommissars vorsieht, sind die Regierung und die Organe der Saar ausschließlich zuständig.

 

VI.

 

Die politischen Parteien, die Vereine, die Zeitungen und die öffentlichen Versammlungen werden einer Genehmigung nicht unterworfen.

Sobald das Statut durch Volksabstimmung gebilligt ist, kann es bis zum Abschluss eines Friedensvertrages nicht in Frage gestellt werden.

Jede von außen kommende Einmischung, die zum Ziele hat, auf die öffentliche Meinung an der Saar einzuwirken, insbesondere in Form der Beihilfe oder der Unterstützung für politische Parteien, für Vereinigungen oder die Presse, wird untersagt.

 

VII.

 

Nimmt die Saarbevölkerung das gegenwärtige Statut durch Volksabstimmung an, so hat dies nachstehende Verpflichtungen für die Saar zur Folge:
a) Die Saarregierung muss die Bestimmungen des Statuts einhalten;
b) es muss alles Erforderliche geschehen, damit die verfassungsmäßigen Organe der Saar an der saarländischen Verfassung
    die durch die Annahme des europäischen Statuts notwendig gewordenen Änderungen vornehmen;
c) die Saarregierung hat innerhalb einer Frist von drei Monaten nach der Volksabstimmung die Wahl eines neuen Landtags
    herbeizuführen.

 

VIII.

 

Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs verpflichten sich, das Statut der Saar bis zum Abschluss eines Friedensvertrages aufrechtzuerhalten und zu garantieren.

Die beiden Regierungen werden die Regierungen des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika bitten, eine gleichartige Verpflichtung einzugehen.

 

IX.

 

Bestimmungen über die Saar in einem Friedensvertrag unterliegen im Wege einer Volksabstimmung der Billigung durch die Saarbevölkerung; diese muss sich hierbei ohne irgendwelche Beschränkungen aussprechen können.

 

X.

 

Die in Artikel I vorgesehene Volksabstimmung findet drei Monate nach Inkrafttreten der Bestimmungen, die im ersten Absatz von Artikel VI vorgesehen sind, statt.

 

XI.

 

Die beiden Regierungen werden gemeinsam alle Anstrengungen machen, die notwendig sind, um der saarländischen Wirtschaft Entwicklungsmöglichkeiten im weitesten Umfange zu geben.

 

XII.

 

A - Die Grundsätze, auf denen die französisch-saarländische Wirtschafts-Union gegenwärtig beruht, werden in ein Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit aufgenommen, das zwischen Frankreich und der Saar abgeschlossen wird und den folgenden Bestimmungen Rechnung trägt.

 

B - Bezüglich der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Saar ist das Ziel zu erreichen, gleichartige Beziehungen zu schaffen, wie sie zwischen Frankreich und der Saar bestehen. Dieses Ziel ist fortschreitend in der Blickrichtung auf die sich ständig ausweitende deutsch-französische und europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit zu verwirklichen. Auf dem Währungsgebiet bleibt die derzeitige Regelung bis zur Schaffung einer Währung europäischen Charakters in Kraft.

Die fortschreitende Erweiterung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Saar darf die französisch-saarländische Währungsunion und die Durchführung des französisch-saarländischen Abkommens über die wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht in Gefahr bringen.

Dabei ist so vorzugehen, dass die Errichtung einer Zollgrenze zwischen Frankreich und der Saar nicht erforderlich wird. Der etwaigen Notwendigkeit, bestimmte Zweige der Saarindustrie zu schützen, ist Rechnung zu tragen.

 

C - In nächster Zeit werden Maßnahmen zur Erweiterung des Wirtschaftsverkehrs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Saar getroffen, um dem Bedarf beider Länder an den Erzeugnissen des anderen Landes Rechnung zu tragen.

 

D - Zwischen Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland und der Saar werden Abkommen geschlossen, um die in den Absätzen B und C niedergelegten Grundsätze zu verwirklichen.

In diesen Abkommen ist der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, dass die Bilanz des laufenden Zahlungsverkehrs zwischen dem Gebiet des französischen Franken und der Bundesrepublik Deutschland nicht schwer beeinträchtigt wird; hierbei sind jedoch die Gegebenheiten des Wirtschaftsverkehrs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Saar zu berücksichtigen.

 

E - Die Saar wird für die Verwaltung sämtlicher Kohlenvorkommen der Saar einschließlich des Warndt sowie der von den Saarbergwerken verwalteten Grubenanlagen Sorge tragen.

 

XIII.

 

Die beiden Regierungen werden den übrigen Mitgliedregierungen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl empfehlen, den Sitz dieser Gemeinschaft nach Saarbrücken zu legen.

 

XIV.

 

Das vorliegende Abkommen wird dem Ministerrat der Westeuropäischen Union übermittelt, damit dieser es zur Kenntnis nehmen kann.

Die beiden Regierungen werden die anderen Mitgliedsregierungen der Westeuropäischen Union bitten, diejenigen Bestimmungen des vorliegenden Abkommens zu billigen, die ihrer Zustimmung bedürfen.

 

 

Paris, den 23. Oktober 1954.     gez. Adenauer , gez. Mendès France

 

 

 

Zusatzvereinbarungen:

 

In einem anlässlich der Verhandlungen über das Saarstatut geführten Briefwechsel teilte Pierre Mendès France dem deutschen Bundeskanzler Adenauer unter dem Datum vom 23. Oktober 1954 Folgendes mit:

 

1)

Im Laufe der Besprechungen, die wir über die Regelung der Saarfrage geführt haben, haben Sie die Frage der Zulassung von Filialen deutscher Banken und von deutschen Versicherungsgesellschaften an der Saar angeschnitten.

Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, dass die für die Zulassung von Banken zuständigen französischen Behörden die Anweisung erhalten werden, etwaige Anträge der deutschen Banken in einem Geiste der Zusammenarbeit zu prüfen.

Ferner wird sich die französische Regierung mit der saarländischen Regierung mit dem Ziele ins Benehmen setzen, dass diese etwaige Anträge deutscher Versicherungsgesellschaften ebenfalls in einem Geiste der Zusammenarbeit prüft.

 

2)

Im Laufe der Besprechungen, die wir über die Regelung der Saarfrage geführt haben, haben Sie die Frage der an der Saar noch bestehenden Sequester angeschnitten.

Ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, dass diese Sequester vor der Volksabstimmung über das europäische Statut der Saar aufgehoben werden.

 

3)

In einem Schreiben an den saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann teilte Pierre Mendès France diesem unter dem Datum vom 23. Oktober 1954 Folgendes mit (eine Abschrift sandte er auch an Konrad Adenauer):

 

Mit Ihrem heutigen Schreiben haben Sie mich wissen lassen, dass die Vertreter der Saarregierung im Grubenrat unverzüglich die Weisung erhalten werden, gemeinsam mit den Vertretern der französischen Regierung folgende Maßnahmen zu treffen:

a) Die Personalangelegenheiten und sozialen Fragen werden stets einer dem Vorstand der Saarbergwerke angehörenden saarländischen Persönlichkeit anvertraut werden.

b) Es werden alle in Betracht kommenden Maßnahmen getroffen werden, um den Anteil der Saarländer an dem mit Verwaltungs- und technischen Aufgaben befassten Personenkreis auf allen Stufen der organisatorischen Gliederung der Saarbergwerke zu steigern.

Diese Maßnahmen werden im Rahmen der von der französischen Regierung verfolgten Politik getroffen, der Saar fortschreitend die volle Verantwortung für die Gruben auf allen Gebieten zu überlassen.

 

 

 

Auf unserer Seite Volksabstimmung und Abstimmungskampf finden Sie ausführliche Informationen zu den Ereignissen an der Saar im Sommer und Frühherbst 1955.

 

Auf den Seiten Aufkleber und Zettel, Flugblätter, Karikaturen, Plakate, Verse, Zeitungen/Zeitungsartikel und Tumulte können Sie sich zahlreiche Originalbelege aus dem Abstimmungskampf ansehen und Informationen darüber lesen.

 

Auf der Seite Ergebnisse und Folgen können Sie nachlesen, wie die weitere politische Entwicklung im Saarland nach der Volksabstimmung verlief.

 

Literaturangaben zum Thema Saarstatut und Volksbefragung finden Sie am Ende der Seite Ergebnisse und Folgen.

 

 

   > Version française de cette page


 

Das Kapitel SAARSTATUT umfasst folgende Seiten:

 

1)  Das Saarstatut (diese Seite)

2)  Volksbefragung und Abstimmungskampf

3)  Ergebnisse und Folgen

4)  Aufkleber

5)  Flugblätter

 

 

  6)  Karikaturen

  7)  Plakate

  8)  Verse

  9)  Zeitungen

10)  Tumulte bei Kundgebungen

 


Diese Seite wurde 2008 begonnen und zuletzt bearbeitet am 3.7.2019

 

 

 

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