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1946: Ein außergewöhnlicher

 

 

Loktransport durch Völklingen

 

von Karl Presser und Rainer Freyer

 


 

Anlässlich eines für viele Saarländer der unmittelbaren Nachriegszeit lebenswichtigen Ereignisses sind im April 1946 einige äußerst interessante Bilder entstanden: Ein Panzer zog eine Eisenbahnlokomotive auf einem Straßenroller (das ist ein vielachsiger Tieflader) durch Völklingen. Die Fotos dokumentieren nicht nur das Geschehen selbst, sondern auch den bedauernswerten Zustand von Teilen der Innenstadt Völklingens nach dem schrecklichen Krieg. Sie sind schon früher an verschiedenen Stellen im Internet sporadisch aufgetaucht. Der in Völklingen aufgewachsene Karl Presser hat für Saar-Nostalgie über die Gründe und die Details des ungewöhnlichen Transports recherchiert und den Weg auf einer Karte festgehalten. Hieraus entstand der folgende Bericht. Wir danken der Eisenbahnstiftung Joachim Schmidt für die freundliche Genehmigung zur Abbildung der Aufnahmen auf dieser Website, aber auch dem leider unbekannten Fotografen für seine einmaligen Bilder, die wir mit freundlicher Genehmigung der Eisenbahnstiftung Joachim Schmidt hier zeigen.

 

 

Während ihres Rückzuges kurz vor Kriegsende zerstörten deutsche Truppen die Verkehrswege im eigenen Land so weit wie möglich, um sie für den nachrückenden Feind unbrauchbar zu machen. So wurden auch die Brücken der Köllertalbahn, die bis zum Kriegesende von Völklingen über Heusweiler und Püttlingen nach Lebach für, am 18. März 1945 gesprengt. Die Bahnstrecke war dort allerdings schon im Februar durch Artilleriebeschuss des Tunnelportals am Heidstock unpassierbar geworden. Am 20. März nahmen die Amerikaner Völklingen ohne Gegenwehr ein. Sie kamen nicht über die Saar, sondern rückten von Bous und von Norden her vor. Die Stadt hatte seit Ende 1944 unter amerikanischem Artilleriebeschuss gelegen. Ein Flächenbombardement und die damit verbundenen Schäden waren ihr und dem Hüttenwerk aber erspart geblieben. 

 

Traditionell arbeiteten viele Werktätige aus dem Köllertal auf den Gruben und Hütten im Saartal. Diese konnten sie jetzt aber nicht mehr mit der Bahn erreichen. Kohle war damals der einzige Energieträger, der industriell nutzbar war und dessen Förderung deshalb nicht nur gesichert, sondern auch schnell wieder gesteigert werden musste. Mitte 1945 arbeiteten im Saarland schon mehr als 12.500 Bergleute unter Tage und förderten mehr als 250.000 Tonnen Kohle im Monat. Es gelang, bereits am 25. Mai 1945 die Völklinger Hüttenkokerei wieder anzufahren. Damit war eine Minimalversorgung der Bevölkerung mit Leuchtgas von Völklingen bis hin nach Rockershausen möglich. Anfang Dezember konnten in Völklingen mit einem Hochofen die Roheisenerzeugung und anschließend im Konverterstahlwerk die Thomasstahl-Produktion wieder aufgenommen werden. 

 

Tägliche Fußmärsche oder Fahrradfahrten von jeweils bis zu zwei Stunden vor und nach der eigentlichen Arbeit waren den ohnehin unter Nahrungsmangel leidenden Belegschaften auf Dauer nicht zuzumuten. Die Militärregierung hatte der Grubenverwaltung eine Anzahl von Renault-Omnibussen zum Transport der Grubenarbeiter zugewiesen. Im Laufe des Jahres 1946 standen rund 100 Autobusse zur Verfügung, die täglich etwa 10 000 Bergleute entweder direkt zu den Gruben oder im Zubringerverkehr zu nahegelegenen Bahnhöfen brachten. Häufige Reifenschäden der Busse aufgrund des schlechten Straßenzustandes machten diese Art von Personentransport wegen fehlenden Reifen-Ersatzes aber unzuverlässig.

 

Um den Arbeiterverkehr besser und zuverlässiger zu gestalten, musste die Strecke der Köllertalbahn für den Personenverkehr so schnell wie möglich wieder benutzbar gemacht werden. Aber der Eiweiler Viadukt (Bild unten) und die Brücke im Gleisbogen vor dem Heidstock-Tunnel über die Hauptbahnstrecke Saarbrücken-Trier konnten mit den nach Kriegsende zur Verfügung stehenden einfachen Mitteln nicht kurzfristig wieder in einen befahrbaren Zustand versetzt werden; sie waren dafür konstruktiv zu aufwändig. Die Militärregierung ordnete daher an, einen Pendelverkehr per Zug zwischen dem Bahnhof Heusweiler und dem Haltepunkt Völklingen-Heidstock einzurichten. Dazu mussten die Brücken auf diesem Streckenabschnitt behelfsmäßig befahrbar gemacht werden.

 

Vom Haltepunkt Heidstock, so der Plan, sollten die Passagiere zu Fuß durch den Tunnel und dann über eine Treppe hinab zu einem Nothaltepunkt an der Hauptbahnstrecke zwischen Luisenthal und Völklingen gelangen, um dann mit dem Zug weiter zu ihren Arbeitsstellen im Saartal zu kommen. Es ist anzunehmen, dass auch ein Straßenbahnhaltepunkt unten in der “Luisenthaler Enge“ eingerichtet wurde. Die Völklinger Straßenbahnlinie 2 zwischen Luisenthal und der zerstörten Saarbrücke in Wehrden war bereits am 22.Juni 1945 wieder in Betrieb genommen worden.   

 

Auf den Bahnhöfen der Köllertalstrecke waren mehrere zerschossene Güterwagen abgestellt. Vier davon konnte man für den Personen-Transport reparieren, umbauen und fahrbereit machen.

 

Doch es war noch ein Problem zu lösen: Auf dem Abschnitt Heidstock-Heusweiler der Köllertalbahn war keine Lokomotive mehr vorhanden! Aber bei der Eisenbahndirektion in Saarbrücken gab es noch sieben Lokomotiven der Baureihe 91.3; das war die ehemalige preußische T9.3. Es waren Tenderlokomotiven, die sowohl im Personenzug- als auch im Güterzugverkehr verwendet wurden. Insgesamt waren mehr als 2000 dieser Loks gebaut worden.

 

Man wählte eine dieser sieben Loks für die Köllertalstrecke aus. Sie war im Jahr 1906 bei der Lokomotivfabrik Arnold Jung im Siegerland als Werksnummer 950 gebaut worden und hatte Kaiserzeit, Ersten Weltkrieg, die Zeit des Völkerbundes, die Reichsbahnzeit und den Zweiten Weltkrieg überstanden. Sie war eine „echte Saarländerin“: ihr gesamtes Lokleben hatte sie im Saarland zugebracht. Bei der Reichsbahn war sie unter der Betriebsnummer 91 1819 registriert.

 

Wie konnte man diese Lok aber nun zu der geplanten Pendelstrecke bringen? Man hatte im Bereich der Eisenbahndirektion Saarbrücken glücklicherweise einen passenden Schwerlast-Straßenroller der Bauart Culemeyer aufgetrieben. Da die Lokomotive ohne Kohle und Wasser weniger als 40 Tonnen wog, hätte man sie damit auf dem Straßenweg zum Haltepunkt Heidstock transportieren können. Aber es war keine einsatzbereite Zugmaschine vorhanden, die dafür geeignet gewesen wäre!

 

Schließlich kam man auf die geniale Idee, einen Panzer (englisch: tank) zum Ziehen einzusetzen. Tanks der amerikanischen Bauart M3 Lee/Grant waren in großer Stückzahl in den USA gebaut und an die Alliierten, also auch an die Franzosen, geliefert worden. Ihr Gefechtsgewicht betrug etwa 27 Tonnen. Für diesen besonderen Einsatz konnte die französische Armee sogar einen speziellen Bergepanzer ("Véhicule de récupération") des Typs T2 M31 Recovery Tank "GRANT ARV" zur Verfügung stellen.

 

Und so fuhr am 21. April 1946 ein äußerst ungewöhnliches Gespann vom Bahnhof Völklingen aus in Richtung Heidstock:

 

 

Zu welcher Einheit der Panzer gehörte, konnten wir noch nicht herausfinden. Möglicherweise war er in der französischen Garnison Saarlouis stationiert. Ein Leser teilte uns mit, das beidseitig angebrachte Abzeichen sei das Emblem der Forces Françaises Libres, allerdings mittig mit dem hochspringenden Pferd der 5e Division Blindé. In dieser Form habe er es noch nicht gesehen und wird weiter danach forschen.

 

Ausschnitt aus einer Karte von wikipedia (gemeinfrei), ergänzende Beschriftungen und Linien von Karl Presser, 2013
 

 

Diese Häuser standen auf der linken Seite der Rathausstraße, unmittelbar nach der Kirche St. Eligius (man erahnt links den Vorplatz der Kirche). Die Gebäude wiesen an ihren Fronten deutliche Spuren von Beschuss auf.

 

  Eine erste größere Herausforderung war die teilweise Umrundung des Rat-   hauses (es befindet sich rechts, außerhalb des Bildes). Im Hintergrund sieht   man das Haushaltswarengeschäft Josef Schmitt (Rathausstr. 5).

 

 

Nach der Passage des Rathauses (auf beiden Bildern links zu sehen) bog der Transport an der Einmündung der Bouser Straße (heute Bismarckstraße) in die Frankfurter Straße (seit 1951 Karl-Janssen-Straße) ein. Zwei Männer hoben, wo notwendig, die Straßenbahn-Oberleitung mit langen Stangen an, damit die Lok darunter hindurch kam.

 

 

Auf diesem Bild ist im Hintergrund die kriegsbeschädigte, aber noch nicht entfernte ursprüngliche Kuppel des Rathausturmes gut zu erkennen. Sie wurde später abgetragen und durch ein einfaches Notdach ersetzt. Vorne links zweigt die Straße "In der Grät" ab.

 

In der Frankfurter Straße ging es anschließend auf Kopfsteinpflaster bergab. Für einen Panzer mit schwer beladenem, aber "ungebremstem" Anhänger war dieser Teil der Strecke sicherlich nicht ganz unkritisch zu befahren.

 

 

Weiter ging es von der Einmündung der Kühlweinstraße aus hinab, vorbei am Amtsgericht (Frankfurter/später Karl-Janssen-Straße 35, im Bild oben rechts zu sehen). Heute ist dort ein Verkehrskreisel. Rechts im Bild zweigt die damalige Heinrich-Jakob-Straße [1] ab.

 

[1] Sie hieß bis 1935 (und wieder seit 1955 bis heute) Hohenzollernstraße.

 

Bild oben links: An der Einmündung der Gerhardstraße in die Frankfurter Straße war der höchste Punkt des Transportweges fast erreicht. Zum Bild rechts: Detail des Panzers. Über eine kurze Strecke saß auch eine Frau darauf.

 

Danach bog der Transport nach links auf den so genannten “Schwarzen Weg“ am Heidstock entlang in Richtung Haltepunkt ein. Dieser Weg verläuft auf der ehemaligen Bahntrasse der Püttlinger Grubenbahn zum Viktoriaschacht. Bis zur Inbetriebnahme des Heidstocktunnels im Jahr 1914 waren deren Gleise auch von der Köllertalbahn benutzt worden. Ab 1914 war über den neuen Tunnel und die vorgelagerte Brücke eine kreuzungsfreie Einfahrt der Züge in den Bahnhof Völklingen möglich geworden. Die saarseitig gelegenen Gleise vier und fünf trugen fortan den Namen “Köllertalbahngleise“.

 

Der geordnete Pendelverkehr mit Lok 91 1819 und vier Behelfspersonenwagen wurde am 8. Juli 1946 zwischen dem Haltepunkt Heidstock und Heusweiler aufgenommen. 

 

Am 21. April 1947 konnte der Heidstocktunnel mit einer Notbrücke über die Saartalbahn erstmals wieder befahren werden. Diese Notbrücke sollte zehn Jahre lang in Betrieb bleiben, bis sie durch eine neue Stahlkonstruktion ersetzt wurde; während dieses Umbaus fand 1957 ein Omnibus-Ersatzverkehr statt. (Siehe dazu das Foto auf der Seite Omnibusse1, Abschnitt C 4) unter der Überschrift "Am Püttlinger Bahnhof der Köllertalbahn 1957".)

 

Der Antrag auf Ausmusterung der Lok 91 1819 wegen zu hohen Reparaturaufwandes wurde am 4.1.1954 gestellt.

 

Der fahrplanmäßige Zugbetrieb auf der Köllertalbahn wurde am 27. September 1985 beendet. 

 

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Literatur:

 

Karl Heinz Janson. Die Köllertalbahn. Sutton Verlag 2010

Kurt Harrer. Eisenbahnen an der Saar. Alba Buchverlag. Mai 1984

Luitwin Bies, Günter Isberner, Roland Isberner, Winfried Kirsch, Horst Kunkel. Völklinger Nachkriegs-Jahre, 1945-1956, Teil 1, Harrer

         Druck 1997 und Teil 2, Harrer Druck1998

Doris Seck und Paul Peters. Die Stunde Null, das Kriegsende an der Saar. Buchverlag Saarbrücker Zeitung, 1986

 


 

         Die Fotos vom Loktransport verwenden wir hier mit freundlicher Genehmigung der Eisenbahnstiftung Joachim Schmidt.

         Fotos von den Grubenbussen und dem Eiweiler Viadukt: Verein für Industriekultur und Geschichte Heusweiler-Dilsburg e.V.

         Logo der Lokfabrik Arnold Jung: Friedrich Böhringer

         Bild- und Textbearbeitung: Rainer Freyer

 

 

Mehr über die saarländischen Eisenbahnen auf Saar-Nostalgie:

 

>> Eisenbahnen im Saarstaat                                                                              

 

>> Bexbacher Ausstellung 100 Jahre Post und Eisenbahn 1952                  

 

 

 


Diese Seite wurde erstellt am 24.4.2013 und zuletzt bearbeitet am 13.1.2018

 

 

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